Die linkszeitlichen Gebiete II
Man schwieg erwartungsvoll, als er aufstand.
Aussenstehenden, wären solche dabeigewesen, wäre das erstaunlich vorgekommen, denn er war unscheinbar, äusserst unscheinbar sogar, so unscheinbar, dass darf man ohne Übertreibung behaupten, dass er oftmals gänzlich übersehen wurde: Niemand hielt ihm die Türe auf, nicht nur in Deutschland nicht, wo das sowieso niemand tut, sondern auch in der Schweiz, wo die Menschen gerne auch ein paar Minuten lang die Türe aufhalten bis dann doch endlich noch jemand kommt, wenn auch nur um diesem dann ein vorwurfsvolles "Bitte" entgegenzuschleudern, vor dem dieser überhaupt die Gelegenheit hatte, sich zu bedanken. Stundenlang sass er in Restaurants, während um in herum auf- und abgetragen wurde. Stundenlang stand er auch an den Tresen einer Bar in der vagen Hoffnung, doch noch irgendwann ein Bier bestellen zu können. Sogar der Bewegungsmelder übersah ihn, und er musste des Nachts im Finsteren seinen Weg ins Büro finden.
Ich freue mich sehr, hob unscheinbare Redner an, hier vor einigen der besten Köpfe unseres Faches einige Überlegungen vorzutragen.
Die zwei lockenköpfigen Studenten, die eine weite Reise auf sich genommen hatten, um drei Tage lang ohne mit jemanden ein Wort zu wechseln in der Ecke zu sitzen und eifrig zu notieren, kniffen einander begeistert gegenseitig in den Arm.
Amanda Panda schlug aufmerksam ihre Beine übereinander.
Joachim Wicht spitzte aufmerksam seinen Bleistift.
Ridikül Dreher notierte aufmerksam alles, was er für relevant erachtete, und das war ziemlich viel.
Nur Anton Elbert stand auf und holte sich einen Kaffee.
Vorausschicken möchte ich ein paar allgemeine Bemerkungen: Die meisten in unserem Fach vertreten eine sogenannte Position. (Das Publikum lachte verständnisvoll. Man war unter sich.) Sie verbringen, erklärte er, den grössten Teil ihrer Zeit damit, an einem eindrucksvollen Namen für ihre sogenannte Position herumzutüfteln, die nur kitzelklein von anderen sogenannten Positionen abweicht, aber eben in entscheidender Weise abweicht.
Meier, beispielsweise, vertritt seit neustem nicht mehr einen starken, sondern nur noch einen halbstarken sublunaren Selenismus. Maier progagiert den militanten epistemologischen Fiktionalismus, der anders als man bisher meinte keineswegs eine anapästische Ontologie impliziere (und einem auch nicht zwangsläufig in Untersuchungshaft bringt), sondern durchaus vereinbar sei mit einem naiven Hyper-Realismus. Und Mayer, Mayer hat nun nach Jahren doch noch dem libertaristischen ontologischen Monetarismus abgeschworen (angeblich sein Ferienhaus im Tessin angezündet worden ist), und huldigt nun dem inkompatiblen Inkohärentismus.
Das Publikum johlte.
Die beiden lockenköpfigen Studenten sprangen auf ihren Stühlen auf und ab.
Ridikül Drehers Hand flog nur so übers Papier, so dass sich kleine Rauchwölkchen bildeten und er beinahe seine Notizen abbrannte.
Joachim Wicht stach sich versehentlich in die Hand und dann noch einmal absichtlich seinem Nachbarn Anton Elbert, welchen er nicht leiden konnte.
Amanda Panda schlug ihre eindrucksvollen Beine übereinander.
Wir hingegen, sprach der Redner weiter, verzichten auf eine sogenannte Position und widmen uns ganz bescheiden – der Wahrheit. Er schaute hilfsuchend zu Amanda hinüber, die ihn bezaubernd anlächelte. Die Wahrheit, stammelte er nun plötzlich, fing sich aber rasch wieder, die Wahrheit … nun ja, ich bitte euch, nach meinem Vortrag keine Kritik anzubringen, sondern nur Klärungsfragen zu stellen, denn schliesslich ist es ein analytischer Satz dass die Wahrheit nicht falsch ist, und also gibt es an der Wahrheit nichts zu kritisieren.
Ich bin in den letzten Jahren mehr und mehr auf ein erschreckendes Phänomen aufmerksam geworden. Die Grammatik unserer Sprache, die ja, wie wir alle wissen, zugleich auch die Grammatik des Denkens und des Seins ist, ist willkürlich beschränkt. Unsere Möglichkeiten Zeitliches auszusagen sind sehr mager. Wir können in unseren Aussagen nur über den Zeitpunkt der Aussage hinausgreifen und vermuten was sein wird, oder zurückblicken und berichten was gewesen ist. Hat man den Zusammenhang zwischen dem Denk- und Sagbaren und dem Wirklichen erst einmal vor Augen, wird man daher realisieren, zu was für einer verkümmerten Welt diese Beschränkung auf das blosse Vorwärts und Rückwärts führt.
Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Vergleich zu anderen noch komfortabel dastehen. Der Schweizer beispielsweise kennt nicht einmal das Präteritum! Er kann von einem X, das geschehen ist, kein Y unterscheiden, dass geschah. Für ihn ist die Vergangenheit ein unstrukturiertes Ist-Gewesen.
Geht einmal in der Mittagspause durch die Strassen und hört dem Schweizer zu. Das ist gewesen, wird er sagen, und dies ist gewesen, wird er hinzufügen, und dann bedenken dass auch jenes gewesen ist. Denn bedenken tut er vieles. Es wird aber jedem sofort auffallen, dass ihm bei allem was er sagt die ordnende Hand des War fehlt.
Übrigens ist dies auch ihm bewusst, wenn auch undeutlich-tierhaft, und es äussert sich in einer gewissen Verstocktheit, die er zu Tage legt.
Will man von ihm etwas über die Vergangenheit hören, so sagt er hilflos: Es ist gewesen.
Fragt ihn einmal über Nazigold aus. Er wird mit den Schultern zucken und sagen: es ist gewesen. Wir hingegen haben die Vergangenheit gründlich aufgearbeitet, und die Möglichkeit dazu liegt in der Unterscheidung von dem, was gewesen ist von dem, was war.
Nicht zufälligerweise unterscheiden sich "war" und "wahr" nur in einem Buchstaben, und einem unwichtigen dazu.
Aber gleichwohl, "war" und "wahr" unterscheiden sich. Das ist der Punkt, den ich machen will und mit dem ich schliessen möchte: Die Beschränkung auf Vorwärts und Rückwärts ist willkürlich. Es liegt nicht schon im Begriff des Zeitlichen als solchem dass die Zeit eine kümmerliche und erst noch in nur eine Richtung führende Linie bildet, eine "schäbige, und erst noch unendliche lange Einbahnstrasse, an der ich verzweifelt die Wohnung meines Freundes suche", wie Bergson in einem hellsichtigen Moment schrieb, oder vielleicht war das auch Borges.
Aussenstehenden, wären solche dabeigewesen, wäre das erstaunlich vorgekommen, denn er war unscheinbar, äusserst unscheinbar sogar, so unscheinbar, dass darf man ohne Übertreibung behaupten, dass er oftmals gänzlich übersehen wurde: Niemand hielt ihm die Türe auf, nicht nur in Deutschland nicht, wo das sowieso niemand tut, sondern auch in der Schweiz, wo die Menschen gerne auch ein paar Minuten lang die Türe aufhalten bis dann doch endlich noch jemand kommt, wenn auch nur um diesem dann ein vorwurfsvolles "Bitte" entgegenzuschleudern, vor dem dieser überhaupt die Gelegenheit hatte, sich zu bedanken. Stundenlang sass er in Restaurants, während um in herum auf- und abgetragen wurde. Stundenlang stand er auch an den Tresen einer Bar in der vagen Hoffnung, doch noch irgendwann ein Bier bestellen zu können. Sogar der Bewegungsmelder übersah ihn, und er musste des Nachts im Finsteren seinen Weg ins Büro finden.
Ich freue mich sehr, hob unscheinbare Redner an, hier vor einigen der besten Köpfe unseres Faches einige Überlegungen vorzutragen.
Die zwei lockenköpfigen Studenten, die eine weite Reise auf sich genommen hatten, um drei Tage lang ohne mit jemanden ein Wort zu wechseln in der Ecke zu sitzen und eifrig zu notieren, kniffen einander begeistert gegenseitig in den Arm.
Amanda Panda schlug aufmerksam ihre Beine übereinander.
Joachim Wicht spitzte aufmerksam seinen Bleistift.
Ridikül Dreher notierte aufmerksam alles, was er für relevant erachtete, und das war ziemlich viel.
Nur Anton Elbert stand auf und holte sich einen Kaffee.
Vorausschicken möchte ich ein paar allgemeine Bemerkungen: Die meisten in unserem Fach vertreten eine sogenannte Position. (Das Publikum lachte verständnisvoll. Man war unter sich.) Sie verbringen, erklärte er, den grössten Teil ihrer Zeit damit, an einem eindrucksvollen Namen für ihre sogenannte Position herumzutüfteln, die nur kitzelklein von anderen sogenannten Positionen abweicht, aber eben in entscheidender Weise abweicht.
Meier, beispielsweise, vertritt seit neustem nicht mehr einen starken, sondern nur noch einen halbstarken sublunaren Selenismus. Maier progagiert den militanten epistemologischen Fiktionalismus, der anders als man bisher meinte keineswegs eine anapästische Ontologie impliziere (und einem auch nicht zwangsläufig in Untersuchungshaft bringt), sondern durchaus vereinbar sei mit einem naiven Hyper-Realismus. Und Mayer, Mayer hat nun nach Jahren doch noch dem libertaristischen ontologischen Monetarismus abgeschworen (angeblich sein Ferienhaus im Tessin angezündet worden ist), und huldigt nun dem inkompatiblen Inkohärentismus.
Das Publikum johlte.
Die beiden lockenköpfigen Studenten sprangen auf ihren Stühlen auf und ab.
Ridikül Drehers Hand flog nur so übers Papier, so dass sich kleine Rauchwölkchen bildeten und er beinahe seine Notizen abbrannte.
Joachim Wicht stach sich versehentlich in die Hand und dann noch einmal absichtlich seinem Nachbarn Anton Elbert, welchen er nicht leiden konnte.
Amanda Panda schlug ihre eindrucksvollen Beine übereinander.
Wir hingegen, sprach der Redner weiter, verzichten auf eine sogenannte Position und widmen uns ganz bescheiden – der Wahrheit. Er schaute hilfsuchend zu Amanda hinüber, die ihn bezaubernd anlächelte. Die Wahrheit, stammelte er nun plötzlich, fing sich aber rasch wieder, die Wahrheit … nun ja, ich bitte euch, nach meinem Vortrag keine Kritik anzubringen, sondern nur Klärungsfragen zu stellen, denn schliesslich ist es ein analytischer Satz dass die Wahrheit nicht falsch ist, und also gibt es an der Wahrheit nichts zu kritisieren.
Ich bin in den letzten Jahren mehr und mehr auf ein erschreckendes Phänomen aufmerksam geworden. Die Grammatik unserer Sprache, die ja, wie wir alle wissen, zugleich auch die Grammatik des Denkens und des Seins ist, ist willkürlich beschränkt. Unsere Möglichkeiten Zeitliches auszusagen sind sehr mager. Wir können in unseren Aussagen nur über den Zeitpunkt der Aussage hinausgreifen und vermuten was sein wird, oder zurückblicken und berichten was gewesen ist. Hat man den Zusammenhang zwischen dem Denk- und Sagbaren und dem Wirklichen erst einmal vor Augen, wird man daher realisieren, zu was für einer verkümmerten Welt diese Beschränkung auf das blosse Vorwärts und Rückwärts führt.
Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Vergleich zu anderen noch komfortabel dastehen. Der Schweizer beispielsweise kennt nicht einmal das Präteritum! Er kann von einem X, das geschehen ist, kein Y unterscheiden, dass geschah. Für ihn ist die Vergangenheit ein unstrukturiertes Ist-Gewesen.
Geht einmal in der Mittagspause durch die Strassen und hört dem Schweizer zu. Das ist gewesen, wird er sagen, und dies ist gewesen, wird er hinzufügen, und dann bedenken dass auch jenes gewesen ist. Denn bedenken tut er vieles. Es wird aber jedem sofort auffallen, dass ihm bei allem was er sagt die ordnende Hand des War fehlt.
Übrigens ist dies auch ihm bewusst, wenn auch undeutlich-tierhaft, und es äussert sich in einer gewissen Verstocktheit, die er zu Tage legt.
Will man von ihm etwas über die Vergangenheit hören, so sagt er hilflos: Es ist gewesen.
Fragt ihn einmal über Nazigold aus. Er wird mit den Schultern zucken und sagen: es ist gewesen. Wir hingegen haben die Vergangenheit gründlich aufgearbeitet, und die Möglichkeit dazu liegt in der Unterscheidung von dem, was gewesen ist von dem, was war.
Nicht zufälligerweise unterscheiden sich "war" und "wahr" nur in einem Buchstaben, und einem unwichtigen dazu.
Aber gleichwohl, "war" und "wahr" unterscheiden sich. Das ist der Punkt, den ich machen will und mit dem ich schliessen möchte: Die Beschränkung auf Vorwärts und Rückwärts ist willkürlich. Es liegt nicht schon im Begriff des Zeitlichen als solchem dass die Zeit eine kümmerliche und erst noch in nur eine Richtung führende Linie bildet, eine "schäbige, und erst noch unendliche lange Einbahnstrasse, an der ich verzweifelt die Wohnung meines Freundes suche", wie Bergson in einem hellsichtigen Moment schrieb, oder vielleicht war das auch Borges.
hochzusammengesetzt - 27. Jul, 20:00