Ich hörte auf zu kauen und dachte nach. Sie ist wahnsinnig attraktiv, sagte Klumpfuss in die Stille hinein.
Auch das ist schon einige Jahre her. Leonard, ich meine Ludmilla, soll, so hört man heute, zeitweilig in einem Sanatorium gewesen sein, wo sie, gemäss nur mir einsehbaren Krankenakten, mit dem Chefarzt eine mehrjährige Beziehung gepflegt haben solle. Manche Leute kolportieren dass jener äusserst seriöse Mann unsere gute und gutaussehende Ludmilla, trotzdem er ziemlich bald herausfand, dass seiner hübschen Patientin “ausser etwas Ruhe überhaupt nichts fehle”, noch lange Zeit bei sich behalten habe.
Als ob er es nötig gehabt hätte: es gab damals gleich reihenweise hübsche reiche Irre und Iren in seiner Anstalt.
Überhaupt war diese Anstalt damals – le palace, oder es im Volksmund hies: Laplace – the place to be, wie der Engländer sagt; zum Beispiel jener, welchem ich gestern im Tram gegenüber gesessen bin und der mir sagte, ohne das ich ihn gefragt hatte: well well well, Berlin is definitely no longer the Nabel der Welt, to use a façon de parler qu’il aime very much. Als junge Dame von Welt, so der Engländer oder vielleicht wars ein Ire, musste man damals auf jeden Fall in jenem hochrenommierten Sanatorium gewesen sein. Hochrenomierte Sanatorium wie dieses gibt es heutzutage, sagte er mit Nachdruck, natürlich nicht mehr. Natürlich nicht.
Zumindest so schreibt es Karl Klumpfuss, der Dichter, in seinem neuen Buch welches heisst: Sanatorium wie das in dem Ludwig zu Ludmilla wurde gibt es heutzutage nicht mehr, wie im neuen Buch von L.L., dem begnadeten aber etwas hinterhältigen Autor, Dichter und Fernsehmoderator, steht und geschrieben steht und geschrieben stehen wird gestanden haben wird worden ist sein wurden. Es ist ein wunderbares Buch.
Wir können das natürlich auch verändern (schliesslich können wir als Erzähler
(nicht) souverän über die Sprache verfügen). Zum Beispiel spielt immer noch Musik:
oooh i'm giving all night tonight giving all night tonight i’m giving it right tonight, tonight, tonight. Hingegen sind es die Augenballen, die glassig sind, die Haut ist gelblich und gegerbt und vielleicht noch eine selbstgedrehte Zigarette zwischen den Fingern. Die Kleider bleiben hauptsächlich schwarz, teilweise zerrissen an Stellen und zum Teil auch etwas fleckig.
whatever.
Das ist wie Menschen in der Erinnerung verbleiben.
oooh tonight.
Vielleicht im Hintergrund etwas Musik. Seine Augenlider, ja, ja seine Augenlider sind gelblich glassig, irgensoeine seltsame Haut darüber, aber vielleicht sind seine Augenlieder auch nur so glassig und gelblich, dass das wie irgendsoeine Haut darüber wirkt. Die Kleider nun die sind zunehmend und hauptsächlich schwarz, zerrissen teilweise, an Stellen, und zum Teil auch etwas fleckig, whatever. Wir kamen nun also dahin, um vielleicht uns zu vergnügen oder um es uns gut gehen zu lassen oder um die Welt Welt sein lassen und dem Kaiser zu geben was dem Kaiser gehört. Um Lieder zu singen. Und dann also diese Augenlieder. "Verdammte Homophonien und Homophobien", sagte er und die Leute drehten sich um.
Nach britischen Wissenschaftlern repräsentiert der Kortex die Ungewissheiten der Welt durch neuronales Rauschen.
Das Rauschen der Sprache. Kritische Essays IV.
Das Rauschen im Walde. Die Oscars werden gerade verliehen und es gab schon riesengroße Überaschungen.
Filter gegen das Rauschen in digitalen Bildern.
Dr. Wolf-Dietrisch Klumpfuss ist es nun gelungen, das Rauschen quasi zu überlisten.
Das Rauschen des Sandmeeres in Wien.
Die neue Biederkeit ist ein Thema, das uns alle beschäftigt. Nastassja zum Beispiel achtet wieder darauf, möglichst
weiblich zu wirken. Letzthin erzählte sie mir: sie mag das
Rauschen der Heizung, das Knarren der Schritte in der Wohnung über ihr, das Knallen der Haustüre, das die Wände erschüttert, sie mag, sagte sie, den esoterischen oder vielleicht wars auch den
erotischen Singsang der vor ihrem Fenster "sich an der Hauswand entlanghangelnden religiösen Gruppen, welche derzeit Hochkunjunktur haben". Ich staunte da zuerst. Ich dachte, Nastassja sei vielleicht betrunken oder berauscht oder sonstwie verwirrt. Aber nein, sagte sie, hast du das noch nicht mitbekommen:
es gibt keinen Boden mehr. Es gibt keinen Boden mehr? fragte ich und runzelte vielleicht auch meine Stirn, weil ich mal gehört hatte, dass man das macht, wenn man Fragen stellt in diesem ganz besonderen Tonfall. Es gibt ihn einfach nicht mehr, sagte sie und
lachte hell auf. Ich mag das Rauschen der Heizung, sagte sie, das Knarren der Schritte, das Knallen der Haustür. Ich mag das bläuliche Licht im Winter, Sommers die wohltuende Grüne, im Herbst die leichte Melancholie. Eines, sagte sie, nach dem anderen.
Heute bin ich eine Strecke mit der SBahn gefahren und alles kam zurück. Diese Strecke ist mit schlechter Stimmung verbunden. Ganz ähnlich auch nun wo's wieder schön und warm und frühlingshaft wird (und etwa 90% aller
twoday-Seiten davon schwärmen), erinnert es mich an letztes Jahr und daran, wie zum Beispiel Sachen passierten, die nicht so schön waren. Ohne jetzt darauf näher einzugehen. Für mich also (das ist jetzt natürlich alles nur Figurenrede), für mich also, sagte
Bartolomé, für mich also geht dieser Frühling, der in allen Blogs in den Himmel hoch gelobt wird, vielmehr den Bach runter.
Warum nur die Erinnerungen so an Äusserlichkeiten geknüpft sind? Ich meine, nur weil er diese... und... und..., ich meine..., das war das doch kein Grund für sie..., mit ihm...? Ich meine, sagt Bartolomé hilflos. Auf jeden Fall. Es ist jetzt so, dass... Diese Stadt, in der ich einige sehr glückliche Jahre verbrachte, erinnert mich viel zu stark daran, als das ich noch jemals dort leben könnte. Genauso wie diese Sbahn, mit der ich heute fuhr, mich an Zeiten und Stimmungen erinnert, die ich lieber vergessen würde.
Vielleicht, so sagt Bartolomé, sind Ortsveränderungen der Versuch, all diesen Erinnerungen, die in Gegenständen und Gerüchen und Farben und Wetterlagen liegen, zu entfliehen. Sehr wahrscheinlich. Nun gut, aber vielleicht holen sie einem
immer wieder ein, egal wo man ist: sie lauern einem hinter der nächsten Hausecke auf oder in einem plötzlichen Lächeln. Man ist dann so hilflos ausgeliefert, dass man an's andere Ende der
Welt gehen könnte, und doch nicht davon käme.
Ich könnte jetzt noch etwas zitieren (sagt Bartolomé und nimmt ein Büchlein zur Hand, in dem er umständlich blättert, sich räuspert und dann spricht, vielleicht mit sonorer Stimme): "Ebenso ist es mit unserer Vergangenheit. Vergebens versuchen wir sie wieder heraufzubeschwören, unser Geist bemüht sich umsonst. Sie verbirgt sich außerhalb seines Machtbereichs und unverkennbar für ihn in irgendeinem stofflichen Gegenstand (oder der Empfindung, die dieser Gegenstand in uns weckt); in welchem, ahnen wir nicht. Ob wir diesem Gegenstand aber vor unserem Tode begegnen oder nie auf ihn stossen, hängt einzig vom Zufall ab." (Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit)
Augen sind eigentlich mehr ein literarisches Phänomen. In Wirklichkeit: hie und da eine geplatzte Ader, etwas Schlaf im Winkel, die Tusche vielleicht verlaufen vom Regenwetter, entgegen allem, was die Werbung sagt. Werbungen lügen auch manchmal. Manchmal wird auch ein ganzes Land vollgepflastert mit einer Werbung für z.B. ein Auto. Da ist man doch extra in die BRD eingetreten und's gibt doch nur Einheitsbrei. Die Augen auf jeden Fall können gleichwohl manchmal beeindrucken, wenn sie auf und zu klappen und sogar auch lachen können. Die Augen können natürlich auch lügen, da muss man auf der Hut sein.
Wobei worüber ich hier schreiben will nicht literarische Phänomene sind, sondern vielmehr reale, welche
vielleicht auch in Blogs wie diesen unbemerkt ihren Niederschlag finden und fröhlich reproduziert werden.
Die Regression.
Da ist zum Beispiel dieses Theaterstück gewesen, in welchem sich alle jungen gutaussehenden Frauen an diesen dicken und mächtigen Herrn geworfen haben und er mit jeder ins Bett ging und gleichwohl oder vielleicht auch deswegen ungeniessbar blieb bzw. wurde. Statt aber Kritik durch Darstellung oder sonstwie zu betreiben wird daraus ein klamaukiges Lustspiel gemacht, sodass die Damen und Herrn in Anzug und Abendkleid sich im Geiste genüsslich auf die Schenkel klopfen und tatsächlich leise hüsteln und zum Nachbarn rüberzwinkern.
Zur
neuen Biederkeit übrigens hier, auch sehr lustig aber doch nur zu wahr. Ein anderes Mal vielleicht auch zur
Religion, welche wohl auch zur Regression zählt, wenn man mich fragt, zumindest in gewissen im Moment beliebten Formen jedweder Couleur.
Lohnt es sich wirklich, hinter dem Schreibtisch hervorzukommen? Ich frage ja nur, es ist 2 Uhr nachts. Da sitzt man zum Beispiel in dieser Bar, die zum Beispiel Bar 21 oder Bar 22 oder 23 heisst, irgendeine Zahl, warum weiss wohl niemand, am allerwenigsten das Mädchen hinter den Tresen, deren Tshirt lauthals verkündet, man solle alle politischen Gefangenen befreien, insbesondere aber einen bestimmten mit einem dieser arabischen Namen. Das finden wir schon alle auch. Und man hofft auch, dass es mehr als nur Pop-Kultur ist. Linksliberale Intellektuelle, habe ich irgendwo gelesen (es war in der Zeit, ich sollte nicht immer so unbestimmt sein), habe also irgendwo gelesen, dass dieser Begriff früher eine Tautologie war, heute aber ein Oxymoron. Aber darum solls nicht gehen. Die Bar heisst, wie besagt, 23 oder 24 oder irgendeine Zahl, die Mädchen haben enge Jeans an und Converse Schuhe, die meisten Männer auch. Da kommen die straffen Hintern gut zur Geltung. Aber darum gehts hier gar nicht. Hingegen: man sitzt so da, und links und rechts von einem ein lauthalses Gespräch über einem hinweg. Es geht vielleicht um... um... zum Beispiel um das, worum es meistens geht, um das Leben eines Studenten, zum Beispiel wenn man Student ist, ansonsten über sein Leben als das, was man sonst so ist. Es geht dann um Halbes und Anekdoten, und man sitzt Inmitten und raucht eine Zigarette nach der anderen, bis einem der Hals brennt; irgendwo gegenüber mag eine herüberzwinkern, aber vielleicht ist es auch nur der Rauch, welcher ihre Augenschleimhaut reizt. Man könne sich auf dem Gang zur Toilette treffen, habe ich heute gelesen in einer Kolumnne, auf dem Gang treffen und wie wild knutschen und die Telefonnummer austauschen (ohne danach je wieder etwas voneinander zu hören). Na klar, denke ich, das könnte man, und zünde zum Beispiel wieder eine an, nicht das ich das wirklich gerne mache, aber die Zeit vergeht dabei.
Ich weiss nicht, vielleicht kommt das mit dem Alter. Aber ich lese gerade ein Buch von Robert Walser, dessen Protagonist gleich alt ist wie ich, aber im Gegensatz zu mir jung ist, voller Tatendrang und Lebensfreude ist und Sachen sagt wie: "Wandern, was bist du für eine helle, lichtblaue Freude!" (insbesondere das Ausrufezeichen könnte ich so nie ernsthaft schreiben), oder: "In kalten stechenden Tropfen fing es an zu regnen, da man jedoch mit zwanzig Jahren [oder einige mehr, was kommt das draufan] noch in keinerlei Weise empfindlich ist, so gab ich auf die Unfreundlichkeit des Wetters herzlich wenig acht. Die Welt sah dunkel, bös und hart aus, doch ich bin nie der Meinung gewesen, dass etwas Rauhes ganz und gar keine besondere Schönheit besitze." (meine Hervorhebungen). Eine helle, lichtblaue Freude. Ich könnte so was nicht schreiben ohne ironisches Zwinkern. Hallo! Hat jemand hier schon mal eine helle, lichtblaue Freude verspürt?? (Vielleicht meldet sich irgendwo in der Ecke einer, aber der will wahrscheinlich Dichter werden. Liest heute überhaupt noch jemand Gedichte, ausser Germanistikstudenten, weil sie das nun mal studieren und die Gedichte ihnen vorgesetzt werden?) Ich war also in dieser Bar, die irgendetwas mit einer Zahl hies, ich glaube es war eine zweistellige. Die Mädchen trugen enge Jeans und ich hinter grossem Bier versteckt und Rauch steigt auf von diesem brennendem Ding in meiner Hand, links und rechts ein Augenzwinkern. Aber auf dem Gang zur Toilette ausser vielleicht einem Betrunkenen niemand. Und dann schliesst man sich auf der Kabine ein, weil man aus irgendeinem Grund, der vielleicht in der frühen Kindheit liegt, lieber für sich alleine pisst als neben anderen, schliesst man sich also in der Kabine ein. Und dann rüttelt einer daran und verlangt Oskar oder Olaf, und als man etwas eingeschüchtert bekanntgibt, dass man nicht der und der sei, hat man zwar wieder Ruhe (aber wieder draussen am Tisch zwischen Links und Rechts, worum gings auch schon wieder, ach ja, um das Leben und um zwei drei zottige Witze vielleicht, um das Sexualleben insbesondere und um die Kleine da drüben, oder die, welche eben vorbeiging, habt ihr die etwa nicht gesehen?), hat man also wieder Ruhe, aber irgendwo schnappt man auf: ein Lachen und dass einer gerüttelt hätte wie der Teufel und nach Oskar oder Olaf verlangt, und stellt auch vor (man lacht), es war (man lacht) es war ein anderer drin. Was der wohl gedacht hat (man lacht), also stellt auch mal vor (man lacht).
Nun ja, soviel zu Heute. Ein anderes Mal weitere beglückende Geschichten aus dem Seelenleben. - Was hast du so gemacht?
(Dieser Text übrigens ist unter meinem Schreibtisch hervorgekommen, ich schrieb in vor 20 oder 30 Jahren als ich noch jung und melancholisch war. Heute bin ich fett und selbstzufrieden.)
Ich bin meinen Tätigkeiten nachgegangen; ich habe versucht, sie zu vergessen; mein Tagesablauf besteht im Grossen und Ganzen darin, mich morgens aus dem Bett zu quälen, Kaffee zu kochen, mich auf oder mit meinen Gedanken forttreiben zu lassen, während den Pausen über etwas zu sprechen, was ich gleich darauf wieder vergesse und Brötchen zu essen.
Spätnachts gehe ich dann nach Hause, esse Pasta von gestern und trinke Rotwein mit ertrunkenen kleinen Fliegen drin, rauche Zigaretten, bis mir das Fleisch im Rachen brennt, und höre dann hellwach im Dunklen liegend Godspeed You Black Emperor!.
„Erzähl mir von dir“, schrieb ich nach mehreren Tagen zurück, „Wortlos nahm sie in der Küche Platz / Erzähl mir von dir / echote sie schliesslich seine Worte.“
Wieder einsam schrieb ich / wider der Einsamkeit schrieb ich / Gedichte.
Ein schlichte Dreizeiler, mit einem gewichtigen einzelnen Wort zum / Schluss.
Bis mir das Fleisch im Rachen brennt schrieb ich und bis mir die Blase zu platzen drohte und der Kopf zu zerbersten.
Der nagende Schmerz, von dem ich nur selten wirklich frei bin, macht mein Leben zum quälenden Überdauern der Stunden, in denen ich mich suhle wie ein gestochenes Schwein in seinem eigenen / Blute.
Der Körper das blosse nackte Fleisch sollte natürlich nicht überbewertet werden, weswegen ich mich geistig ungerührt verhalte.
Die aneckelnden Typen der traurigen Seitensprung-Bars mit dem milchigem Geruch von trocknem Sperma, den die Kellnerinnen trotz langem Lüften nie ganz wegkriegen (wieder so ein literarischer Satz, welcher nicht an den Prüfstein, wie K. sagen würde, an den Prüfstein der Wirklichkeit gehalten wurde. K. sagt, es rieche dort nämlich ganz anders, und gar nicht so schlecht, und mit Lüften brächte man überhaupt auch sowieso alles weg), trotz langem Lüften also nie ganz wegkriegen, diese Fleisch gewordenen Worte.
Mein erstes Buch schrieb ich über Paris. Keine Stadt ist unnötiger zu bereisen, möchte man wirklichkeitsgetreu, was immer das heisst, über sie schreiben, als Paris. Die „Wirklichkeit“, wie sie in den Köpfen erwartet wird, ist längst schon vorhanden in unseren Bibilotheken: denn welche Stadt ist von Unmengen von Dichtern dichter verdreckt durch das Wort als durch die Tauben mit ihren abgestorbenen kleinen Füssen und den dummen nickenden Köpfen?
Rotwein trinken mit kleinen Fliegen – mit Tauben! – drin.
Wie ein gestochenes / Schwein.
Jedesmal wenn ich sie sehe, machen die schlingernden Bewegungen meiner Vorstellungsmassen mich Seekrank.
Routinemässig male ich alle paar Zeilen rechts vorsichtig ein Fragezeichen hin; in geduldigem Durchlesen tilge ich, vorsichtig mit dem Radiergummi, nach und nach die meisten wieder. Einige bleiben jedoch bestehen, und ich fürchte für immer.